Die Geschichte der Alten Kirche Bürgeln
Der Beginn als Kapelle
Bereits um das Jahr 1100 stand an dem Ort der heutigen Kirche in Bürgelns Dorfmitte eine Kapelle. Als Überbleibsel davon sind auch heute noch zwei monolithische Fenster an der Nordseite und eventuell auch ein drittes, allerdings zugemauertes, an der Südseite zu sehen.
Es wird vermutet, dass es sich um einen schlichten Saalraum mit romanischen Fenstern handelte und der Chor im Osten noch nicht existierte. Genauso wie Cölbe gehörte auch Bürgeln zu dieser Zeit dem Marienstift Wetzlar an, welches 897 durch die Konradiner Grafen in Hessen gegründet wurde.
Kurz nach dem Jahr 1200 wird der erste bekannte Vorfahre der späteren Patronatsfamilie genannt: Als Gefolgsmann des Landgrafen Hermann von Thüringen (Schwiegervater der Heiligen Elisabeth) pflegte auch Rupert Brendel einen regelmäßigen Umgang mit den Berühmtheiten seiner Zeit.
Im 13. Jahrhundert nannte sich die Familie auch „von Marburg“, spätestens im Jahr 1315 wurde der Name zu „von Fleckenbühl“ geändert, später wurde die Familie „von Bürgeln“ genannt. Sie zählte als Verbündete des Erzstifts Mainz zunächst zu den Gegnern des Landgrafen von Thüringen, aber etwa im Jahr 1350 haben sie sich aber mit den Marburger Landgrafen arrangiert und erhielten daraufhin im Jahre 1358 die Burg Bürgeln als Lehen.
Spätestens um 1530 hatte die Familie Einfluss auf die Kapelle in Bürgeln und die Ernennung des Priesters, auch wenn formal die Landgrafen als Landesherren das Patronatsrecht hatten. Die Martinskirche in Schönstadt war zu dieser Zeit sowohl die Mutterkirche als auch die Pfarrei.
Die Familie von Fleckenbühl, gen. zu Bürgeln hat sich in der Spätgotik bedeutende Verdienste um den Ausbau der Kapelle zu einer Kirche erworben. Sie hat einen spätgotischen Chor anbauen lassen, den Kirchhof erweitert und schließlich das Westportal errichtet um einen einfacheren und würdigeren Eintritt in die Kirche zu ermöglichen.
Auf Grund der starken Mauer des Chorraumes auf der Südseite gibt es auch Überlegungen, ob an dieser Stelle ursprünglich ein Chorturm angedacht war, dies konnte aber nicht endgültig verifiziert oder widerlegt werden.
Nach der Reformation in Hessen um 1532/37 wurde unter Johann von Fleckenbühl, genannt Bürgeln (Pfarrer von Schönstadt) und seinen Brüdern der Kirchhof durch Kauf von Grundstücken erweitert.
In der gleichen Zeit wurden Bauarbeiten an der Kirche durchgeführt, insbesondere am hessisch-spätgotischen Westportal, welches damals der Eingang für das Laienvolk war. Zu dieser Zeit hatte die Kapelle noch eine sehr karge Ausstattung, obwohl sie bereits zeitweise als Pfarrkirche diente.
Die mächtigen Stützpfeiler im Westen der Kirche waren vermutlich bereits im Mittelalter vorhanden, zumindest gibt es Berichte, dass diese im Jahr 1666 ab- und wieder aufgebaut wurden.
Die Glocken
Seit Jahrzehnten sind die beiden Glocken der Alten Kirche nicht mehr erklungen, dabei handelt es sich um äußerst wertvolle Stücke, die durch ihr Alter eine große Besonderheit darstellen. Sie stammen von dem Glockengießer Georg Schernbein aus Marburg, der die beiden Glocken 1652 und 1653 goß.
Die obigen Dokumente stammen aus dem Buch "Hessische Glockenkunde, 9. Band: Marburger Glockengießer, zusammengestellt nach einen Aufnahmen von Heinrich Wenzel in Kassel-Wilhelmshöhe 1927", zu finden im Online-Auftritt der Bibliothek der Uni Kassel (www.orka.bibliothek.uni-kassel.de). Die genauen Quellen-Links befinden sich in der Beschreibung der Bilder.
Die große Glocke, die im Turm oben hängt, wurde 1652 im Ton "h" gegossen. Sie trägt eine Inschrift an der Schulter zwischen zwei Stegen "GIRGE SCHERNBEIN VON MARPVRG GOS MICH ANNO 165Z" und am Wolm befindet sich ein Steg.
Die untere, kleiner Glocke, wurde 1653 im Ton "cis" gegossen. Die Inschrift auf ihr lautet "ANNO 1653" und auch hier befindet sich ein Steg am Wolm.
Im Zuge der Renovierung 2019/2020 wurde auch die Glocke ausgebaut und konnte dank der überragenden Spendenbereitschaft der Bevölkerung restauriert werden. An der Krone der großen Glocke war einer der sechs Henkel abgebrochen und wurde von einer Fachfirma repariert.
Die Glocken hängen künftig wieder sicher im Dachstuhl und können zu besonderen Anlässen über Seile per Hand geläutet werden.
Einige der Fotos sowie die Textvorlagen stammen von Dennis Willershausen aus dem Jahr 2019.
Ausbau der Kirche nach dem Dreißigjährigen Krieg
Ab 1685, die Region hatte sich gerade von den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges erholt, finanzierte vor allem der Marburger Professor Johannes Tesmer umfangreiche Erweiterungsarbeiten. Er wohnte auf Gut Fleckenbühl und hatte dieses sehr wahrscheinlich gepachtet.
Die Kirche war zu dieser Zeit wohl bereits zu klein für die Kirchengemeinde, daher wurde sie um ihr Fachwerk-Obergeschoss erweitert und bekam ein neues Dach mit Dachreiter.
Die Kanzel
Im Jahr 1688 wurden die Kanzel, zuweilen auch Predigtstuhl genannt, mit den zahlreichen Verzierungen und Schnitzerein eingebaut. Von hier aus konnte der Geistliche das Wort Gottes verkündigen und auch die Predigt halten. In Zeiten ohne Mikrophon war die Kanzel wichtig, um den Prediger gut sehen und vor allem auch gut verstehen zu können. Durch die Mauer im Rücken kamen die Botschaften (zumindest akustisch) gut bei den Zuhörern an.
Der Pfarrer konnte die Kanzel als eine Art Bühne nutzen, um mit selbst gewählten Worten rhetorische Überzeugungskraft an seiner Gemeinde zu leisten. Am Altar war dies kaum möglich, da hier eine liturgische Strenge herrschte.
Funfact: In vielen Kirchen gab es eine Predigtuhr. Diese zeigte dem Geistlichen, wie lange er noch sprechen musste oder konnte, und der Gemeinde, wie lange sie noch durchhalten musste.
Der bibliche Ursprung der Kanzel stammt übrigens von Esra. Er las auf einer Versammlung auf einem großen Platz die Tora vor und stand dabei auf einem hölzernen Podest, welches mit einer Brüstung umgeben war. Das lateinische Wort "cancelli" bedeutet daher Gitter oder Schranken.
Erst im Mittelalter hielten die Kanzeln dann Einzug in die Kirchengebäude. Die sogenannten Predigerorden, beispielsweise die Dominikaner, hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Gläubigen in ihrem christlichen Glauben zu bestärken und vor falschen Lehren zu warnen. Sie hatten allerdings noch mobile, tragbare Holzgestelle, die man überall aufstellen konnte. Die Kanzeln bewährten sich allerdings schnell und so bekamen sie einen festen Platz in den Gotteshäusern.
Während der Reformation wurden die Kanzeln schließlich sogar eine Art Markenzeichen des Protestantismus, da die Predigt dazu genutzt wurde, die neue Lehre so zu interpretieren, dass sie auch im Alltag gelebt werden kann.
Noch heute befinden sich einige Wörter im Zusammenhang mit dem Predigtstuhl im Sprachgebrauch, so spricht man beispielsweise "von oben herab" oder "kanzelt sich ab".
Die Empore
Unter einer Empore versteht man laut Wörterbuch eine "innen angebaute, zum Innenraum offenes, galerieartiges Obergeschoss, besonders in Kirchen". In protestantischen Kirchen finden sich vielfach zweiseitig gewinkelte, dreiseitig u-förmige Hufeisenemporen oder gar das gesamte Kirchenschiff umziehende Rundemporen.
In der Alten Kirche Bürgeln wurde sie, ebenso wie die Kanzel, im Jahr 1688 eingebaut. Hier spielten vor allem rationale Gesichtspunkte eine Rolle: man wollte die für den Teilnehmer am Gottesdienst zur Verfügung stehende Fläche vergrößern. Der Einbau einer Empore war hier kostengünstiger als eine Vergrößerung der Kirche durch die Verschiebung der Außenmauern. Ein weiterer praktischer Grund war, dass durch die Empore die ganze Gemeinde in Hör- und Sichtweite der Kanzel untergebracht werden konnte.
Aus ästhetischer Sicht handelt es sich bei der Empore der Alten Kirche um ein besonders hübsche Erweiterung, da an ihr viele Schnitzereien und Verzierungen zu finden sind. Die sonst oft üblichen Illustrationen biblicher Geschichten oder moralischer Symbolik und Ikonografie kamen nicht zum Zuge und auch auf das oft beliebte Gestaltungsmotiv mit Bibelsprüchen wurde zugunsten eines schlichten Designs verzichtet.
Auf der Nordempore stand zunächst die Orgel, diese wurde aber 1870/72 durch den Orgelbauer Peter Dickel auf die erweiterte Westempore versetzt. Im Anschluss wurde die Nordempore von den Männern genutzt, was man an den Haken für die Hüte an der Vorderseite der Empore noch erkennen kann. Am Aufgang zur Empor wurde zur Zeit der Aufklärung (ca. 1750 bis 1790) auch der mahnende Spruch "Es ist besser, in das Klaghaus zu gehen, denn in das Trinkhaus" (Prediger Salomonis, 7,2) aufgemalt.
Unter der Empore saßen die sogenannten "Kanzelschwalben". Hiermit waren die älteren Frauen gemeint, die wegen ihrer Schwerhörigkeit der Kanzel gegenüber saßen.
Der "Pfarrstall"
Der von der Bürgelner Bevölkerung liebevoll "Pfarrstall" genannte Holzbau bildete mit der Kanzel und dem Aufgang zu ihr eine Einheit und soll durch den hohen Wiedererkennungs- und Identifikationswert im Rahmen der Sanierung wieder aufgestellt werden.
Der Raum diente als eine Art Sakristei, in der sich der Pfarrer auf den Gottesdienst vorbereitete und, von der Kirchengemeinde unbemerkt, die Kanzel emporsteigen konnte.
Er ist ein wichtiger Teil des historischen Inventars der Alten Kirche Bürgeln und dokumentiert gut, wie damals mit einfachen Mitteln eine zweckmäßige Umkleidemöglichkeit für den Pfarrer sowie die Unterbringung der liturgischen Gegenstände sichergestellt werden konnte.
1694 oder 1695 stiftete Philipp Otto, damals Oberhaupt der Fleckenbühler Familie, ein Kruzifix.
Die Malereien
1728 wurden zwei neue Fenster in die Südseite eingebaut, 5 Jahre später wurden die umfangreichen Malereien am Chorbogen vollendet.
Später, vermutlich in der Zeit der Aufklärung um 1780, wurden moralische Bibelsprüche an die Wände gemalt. Diese wurden später überstrichen, sind aber im Zuge einer frühen Restaurierung teilweise wieder freigelegt worden.
Der Bau der Orgel
Im Jahr 1752 begann Irle mit dem Bau der Orgel, deren Prospekt bis in die Gegenwart erhalten ist. Diese wurde zunächst auf der Nordempore errichtet, wurde 1870/72 allerdings durch den Orgelbauer Peter Dickel auf die erweiterte Westempore versetzt.
1897 erhielt sie ein völlig neues, romantisches Werk, welches unter anderem durch eine großzügige Spende des ehemaligen Bürgelner Henry Rodenhausen möglich war, der zu diesem Zeitpunkt bereits nach Amerika ausgewandert war und zu Geld gekommen ist. Es handelt sich hierbei um ein seltenes Beispiel aus der Werkstatt von Emil Butz, welches laut Gutachten technisch gut gebaut wurde.
Die Orgel ist bis heute bespielbar und wird weiterhin bei Konzerten genutzt.
Bereits im Jahr 2011 startete der Kulturverein einen Aufruf, um mehr über "Henry" Rodenhausen herauszufinden und um ihm in der Alten Kirche entsprechend gedenken zu können, leider ohne großen Erfolg.
Die Aufgabe der Kirche als religiöse Stätte
1970 erfolgte die Aufgabe, da der Kirchengemeinde die Alte Kirche erneut zu klein wurde und sie wurde durch einen Neubau am Lohberg ersetzt.
Eigentlich war der Abriss bereits geplant, um der unmittelbar benachbarten Grundschule die Fläche zur Verfügung zu stellen, dies konnte jedoch glücklicherweise erfolgreich verhindert werden.
Aus der Alten Kirche wurden drei Kunstdenkmäler in die neue Kirche überführt. Im Vorraum der neuen Kirche findet sich der Grabstein eines Herrn von Fleckenbiel in Ritterrüstung, der im Jahr 1562 gestorben ist. Im Gottesdienstraum befindet sich der Taufstein aus dem Jahre 1592 sowie die 1694 von Philipp Otto von Fleckenbiel, gen. Bürgeln, gestiftete Kreuzigungsgruppe.
Die Gründung des Förderkreises Alte Kirchen e.V.
1973 folgte die Gründung des Förderkreises Alte Kirchen e.V., um das barocke Denkmal vor dem Abriss zu retten. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine Genehmigung des Landesmates für Denkmalpflege für den Abbruchantrag der Kirchengemeinde vor, der damaliger Kreisbaudirektor Mönich versagte dies allerdings glücklicherweise.
Im Jahr 1984 wurde das Gebäude in das Eigentum des Förderkreises übernommen und seitdem werden verschiedene Veranstaltungen mit kulturellem Hintergrund durchgeführt.
Die Renovierung in den 1980er Jahren
Nach der Verabschiedung des Hessischen Denkmalschutzgesetzes 1974 wurde die Kirchengemeinde in einem Prozess verpflichtet, die Kirche wieder in sein Eigentum zu übernehmen, zu erhalten und zu renovieren.
So fand um 1980 die letzte größere Renovierung der Kirchengemeinde statt, die allerdings nicht vollumfänglich erfolgen konnte. Unter anderem konnten nur die Vorbereitungen für eine Heizung fertiggestellt werden, so dass die Kirche für Veranstaltungen nur im Sommer genutzt werden konnte. Der Schwerpunkt lag auf einer Außenrenovierung, vor allem des Fachwerks.
Im Zuge dieser Restauration wurde die schädliche Farbe von den Wänden entfernt und es wurden barocke Rankenmalereien an den Fensterlaibungen und dem Chorbogen freigelegt. Die 1685-97 entstandenen Malereien wurden von Pfarrer Preusch initiiert, der sich über dem Triumphbogen namentlich verewigen ließ.
Dem Förderkreis Alte Kirchen lagen bereits seit ca. 1986 Pläne zur Renovierung der Kirche vor und über die Jahre wurden immer wieder Maßnahmen durchgeführt, unter anderem eine Untersuchung und die Freilegung der Wandbemalungen, die Erneuerung der Dachdeckung, die Reparatur der Kanzel und der Bänke, die Renovierung der Orgel ab dem Jahr 1996 sowie die Instandsetzung der Stützpfeiler außen an der Westwand.
Im April 2008 wurde die Kanzel wieder aufgestellt und anschließend am 03. Mai eine Feier der deutschen Messe nach Martin Luther 1524 durch Celebranten und Ministranten der Universitätskirche Marburg durchgeführt.
Die Gründung des Kulturvereins Alte Kirche Bürgeln e.V.
Seit der Gründung versucht der Kulturverein Alte Kirche Bürgeln e.V., das Gebäude als kleines dörfliches Kulturzentrum nutzbar zu machen und so wird seit 2006 vom Vorstand ein vielfältiges Kulturprogramm aufgelegt mit Konzerten, Lesungen und Kunstausstellungen.
In der Kirche finden bequem 40 bis maximal 100 Gäste Platz und sie wird bei Künstlern als angenehmer Spielort geschätzt. Sie ist mittlerweile so beliebt, dass es für Kulturschaffende sogar eine Warteliste für freie Termine gibt.
Im Jahr 2012 wurde der Kulturverein Alte Kirche Bürgeln e.V. im Schloss Biebrich mit dem Ehrenamtspreis für Denkmalpflege ausgezeichnet. "Gerade in der Denkmalpflege verdanken viele Projekte ihren Erfolg dem Ehrenamt", sagte der Staatssekretär im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ingmar Jung. Ohne engagierte Privatpersonen "wäre manches Schmuckstück aus der Vergangenheit für die Nachwelt verloren".
Am 15.06.2017 hat der Kulturverein die Alte Kirche als Schenkung vom Förderkreis übernommen und ist seitdem der Eigentümer.
Die umfangreiche Renovierung 2019/2020
Seit dem Jahr 2019 erfolgt eine grundlegende Sanierung und Renovierung des Gebäudes von innen und außen, die neben öffentlichen Fördergeldern auch durch Spenden aus der Bevölkerung möglich ist.
Mehr hierzu finden Sie unter dem Menüpunkt "Sanierung der Alten Kirche 2019/2020" auf der Startseite.
Der Text basiert auf umfangreichen Vorarbeiten von Dr. Kurt Bunke sowie Angus Fowler.